Große Fahrer in der Formel I Geschichte

 

Die großen Weltmeister

50 Jahre Formel-1-Weltmeisterschaft, 27 Weltmeister: Zehn sind von uns gegangen, aber nur zwei starben eines natürlichen Todes. Wir sagen Ihnen, was aus den anderen geworden ist.

Das Fahrer-Phänomen.

Stirling Moss fuhr von 1948 bis 1962 genau 466 Rennen. Er siegte 194 Mal. Er bestritt 66 Formel-I-Grands-Prix und gewann 16 davon. 1955, '56, '57 und '58 wurde er Zweiter in der WM, er war der einzige, der den fünffachen Weltmeister Juan Manuel Fangio im Formel-I-Wagen fordern und im Sportwagen besiegen konnte.

Stirling fuhr vom 500-ccm-Cooper-Jap-Rennwagen über HWM, Jaguar, Austin Healey, ERA, Cooper Climax, Vanwall, Aston Martin und Lotus alles, was es gab. Er wollte aber in erster Linie britische Rennautos fahren. Als ihm Enzo Ferrari in den Anfängen seiner Laufbahn 1951 einen Werkswagen für ein Rennen in Bari anbot, musste Moss am Rennplatz erfahren, daß der Commendatore umdisponiert hatte und Piero Taruffi ins Auto setzte. Seit dieser Zeit hatte Stirling zu Ferrari ein gestörtes Verhältnis. Mehr als zehn Jahre lang schlug er Ferrari bei jeder nur denkbaren Gelegenheit mit meist unterlegenen Autos. Dank seines phänomenalen Fahrkönnens konnte Moss seine Gegner in den besseren Autos immer wieder demütigen.

1955 holte ihn Alfred Neubauer ins Mercedes-Werksteam. Er gewann den Britischen Grand Prix. Selbst heute ist er sich nicht im klaren, «ob Fangio mich gewinnen ließ oder nicht. Meine Frage, hat er mir nie beantwortet», erinnert sich Moss. Moss schrieb Geschichte. Etwa bei der Mille Miglia 1955 mit dem Mercedes 300 SLR, den er heute noch für das «großartigste Rennauto aller Zeiten» hält. Der britische Journalist Denis Jenkinson saß auf dem Nebensitz, man hatte die gesamte Strecke auf einer Rolle aufgezeichnet und eine Zeichensprache vereinbart, mit der die Gefährlichkeit der Kurven signalisiert wurde.

Man drehte sich, bumste gegen Meilensteine und raste mit einem Schnitt von I57,65 km/h die 1000 Meilen rund um Italien. «Knapp vor dem Ziel», erzählt Moss, «lief ich auf einer endlosen Geraden auf zwei weiße Punkte auf, die sich als BMW Isetta entpuppten. Wir fuhren 290. Ich musste mich entscheiden, wie ich sie überholte, denn sie gondelten mit Tempo 80 in der Straßenmitte. Ich pfeilte zwischen ihnen durch und sah im Rückspiegel, dass sie von unseren Turbulenzen wie Pingpong-Bälle hin und her hüpften.»

Als Moss'55 bei der Targa Florio mit fünf Minuten Vorsprung auf Sand kam und die Herrschaft über den 300 SLR verlor, landete er ein paar Meter tiefer auf einem Acker. Zwölf Minuten waren dahin, bis er sich wieder auf die Strasse gebaggert hatte, jedes andere Rennauto hätte man wegwerfen können. Moss büßte den Ausflug mit einem Rückfall auf Rang 4, doch Co-Pilot Peter Collins . holte die Führung zurück, bevor Moss - in den letzten fünf Runden im GP-Stil fahrend Fangio/Kling nochmals fünf Minuten abnahm.

1958 verlor er die WM um einen Punkt an Mike Hawthom. 1961 hatte Ferrari das stärkste Auto, doch Moss erteilte den Ferrari-Piloten Graf Trips und Phil Hill in Monaco und am Nürburgring mit seinem Spielzeug-Lotus eine Lektion. Diese beiden Grand-Prix-Siege zählen zweifellos zu seinen größten Leistungen im Monoposto.

Wolfgang Graf Berghe von Trips sagte damals am Nürburgring: «Wenn es mir gelingt, zehn Kurven optimal zu nehmen, so schafft es Stirling, dass er 30 Kurven am ab-oluten Limit fährt.»

Moss hatte eine spezielle Bremstechnik, die niemand so genial beherrschte: Er lenkte mit dem Bremspedal, stellte das Auto in die Kurven rein, um einen Powerslide einzuleiten. «Zu meiner Zeit musste man das Limit respektieren, ich hielt mich gerade noch unter der Grenze des Möglichen, sonst wäre ich tot gewesen. Daß ich es nicht bin, ist ein reines Wunder. Ich verlor Räder, mir brachen Lenkungen - einmal in der Steilwand von Monza, als ich einen zum Indy-Car modifizierten Maserati fuhr; es gab einen Zweikampf zwischen Europa und den USA. Ich verlor in Spa 1960 ein Rad des Lotus, Motoren gingen fest, Bremsen und Getriebe blockierten, es wurde gebastelt. Nur MercedesBenz betrieb die Rennerei bereits auf wissenschaftlicher Basis.» Stirling Moss hatte in der Glanzzeit einen Manager und jagte mit dem Privatflugzeug zu den Rennen: Am Samstag drehte er in England am Lenkrad, am Sonntag auf dem Kontinent. Wer Moss im Jahre 1960 engagieren wollte, musste 1000 Pfund hinlegen. Das war damals sehr viel Geld.

Wenn ihn seine Fans verfolgten, pflegte er davonzulaufen. Ig1960 fuhr er auf dem Zeltweger Militärflugplatz, 3 km vom heutigen A1-Ring entfemt, mit dem Rob-Walker-Porsche einem überlegenen Sieg im F2-Rennen entgegen. Die Begeisterung der Zuschauer war grenzenlos, sie rückten immer näher zur Piste, bis sie die Landebahn flankierten. Die Rennleitung brach von Panik ergriffen das Rennen ab, und Moss musste sich durch blitzschnelle Slalomläufe vor dem Publikum in Sicherheit bringen.

1962 hatte er in Goodwood jenen schweren Unfall, der seine Karriere beendete. In einem Duell mit Graham Hill um die Führung, näherte man sich mit I90 km/h der St.-Marys-Kurve. Moss schaltete in seinem Lotus Climax noch vom fünften in den vierten Gang, doch dann raste er gerade auf einen Erdwall zu, wo er mit etwa 100 km/h aufschlug. Er hatte keine Sicherheitszelle aus Kohlefaser, sondern er saß in ei-nem Vogelkäfig-ähnlichen Rohrrahmen. Man musste ihn aus dem Auto sägen, er hatte schwere Kopfverletzungen, das linke Wangenbein war zerschmettert. Wahrscheinlich war das Gaspedal hängengeblieben.

Ein Jahr später unterzog er sich auf der Goodwood-Rennstrecke einem ernsten Test, es ging um Sein oder Nichtsein. Moss fuhr eineinhalb Stunden mit einem Formel-I-Wagen um die Bahn. Seine Rundenzeiten waren etwa drei Sekunden langsamer als eine konkurrenzfähige Zeit. «Ich musste jedesmal nachdenken, musste mir selbst Befehle erteilen, hier bremsen, hier runterschalten», hört man heute noch von ihm, «ich tat nichts aus Reflexen heraus wie vor dem. Unfall. Ich war nicht mehr der alte.

Der Entschluss aufzuhören war hart. «Womöglich machte ich den Fehler», sagte er mir vor zwei Jahren, «diesen Test in Goodwood zu früh nach dem Unfall angesetzt zu haben.»

Moss stammt aus einer Zeit, die uns heute bereits wie das Mittelalter vorkommt. Die Rennfahrer waren ständig in Todesgefahr, sie lebten mit dieser Gefahr, wurden meist nicht alt und hatten samt ihren Technikern und Mechanikern keine wie immer gearteten Vorstellungen von Sicherheit. Moss hat ganze Startfelder überlebt; er wirkt durchtrainiert und er hat einen guten Geist, der ihm das Leben verschönt: seine Gattin Susie.

 

Der unterschätzte Weltmeister

Vierzig Jhre nach seinem ersten Weltmeistertitel zeigt Sir Jack Brabham keine Anzeichen von Müdigkeit. Bei Oldtimer-Veranstaltungen und PR-Auftritten ist er stets ein gefragter Mann, und er lässt keine Gelegenheit ungenutzt, sich hinter ein Rennlenkrad zu setzen, Wie er in Goodwood im September gezeigt hat, als er sich bei einem Unfall die Rippen brach, sind reine Demonstrationsfahrten in einem Museumsstück nicht Btabhams Sache: Er liebt es noch immer richtig Gas zu geben. Sein Feuer ist nicht erloschen.

"Mir macht es Spaß, mit alten Autos zu fahren. Es fühlt sich wie früher an, gibt mir einen Ansporn und verhindert, daß ich alt werde!" Wann wird er aufhören?

"Ich werde darüber nachdenken, wenn ich 75 bin, aber wenn ich es nach wie vor will, dann überlege ich es nochmal, wenn ich 80 bin. Wenn ich in ein Auto steige, dann fühle ich mich nicht anders".

Mit nunmehr 73 Jahren ist Jack der älteste noch lebende Weltmeister. "Nur eine Handvoll anderer Forme1-I-Fatirer überbrückten den enormen Zeitraum von den 50er bis zu den 70er Jahren (Joaltim Bonnier, Graham Hill, Bruce McLaren und Dan Gurney), doch niemand fing so früh an wie Brabham, der sein Grand-Prix-Debüt 1955 in Aintree feierte. Nur Jack Brabham fuhr gegen den Mercedes W196 und den Lotus 72. Im Laufe einer bemerkenswerten Karriere gewann er drei WM-Tite1, den letzten mit seinem eigenen Team in seinem eigenen Auto. Er gehörte immer noch zu den besten, als er 1970 widerwillig zurücktrat - im Alter von 44 Jahren.

Dennoch werden seine Leistungen in den Geschichtsbüchem a1s selbstverständlich erachtet. In einer Liste der besten Zehn alter Zeiten wird Brabhams Name nicht einmal in Erwägung gezogen. Und bei den besten 20 taucht er vielleicht im zweiten Drittel auf neben Fahrern, die nicht einen einzigen Titel gewonnen haben, geschweige denn drei. Stirling Moss und Jim Clark beherrschten die Schlagzeilen, als Jack fuhr, und sie tun es immer noch. "Das liegt wohl daran, daß ich mich bei der Presse nie so eingeschleimt habe wie andere Leute", grinst er schalkhaft "Dass ich Australierbin, hat in England auch nicht gerade geholfen. Ich habe mir über die Presse nie grosse Gedanken gemacht, aber das war wohl ein Fehler meinerseits."

Besonders forsch oder glamourös trat Jack nie auf. Er war ein Mann weniger Worte, der immer als Denker charakterisiert wurde, ein sturer Techniker, der oft Renen ohne großen Glanz gewann Diese einfache Art prägte sein Bild in der Öffentlichkeit Aber wenn ihn der Ehrgeiz packte, war Brabham auch ein harter Racer, der mit den besten kämpfen konnte. Die Weltmeisterschaft hatte der unbedarfte Australier nicht im Kopf, als er zum ersten Mal nach England kam. Er ging schon auf die 30 zu und schien keine große Zukunft zu haben, aber in enerhalb weniger Jahre trug er dazu bei, den Grand-Prix Sport zu revolutionien "Ich wollte einfach nur Rennen fahren. Ich dachte so etwas wie die Weltmeisterschaft Ich brauchte ein]ähr, um herauszufinden, worum es im Motorsport ging, und zum Glück bin ich mit John Cooper zusammengetroffen: Er gab mir einen Job in seiner kleinen Fabrik, wo ich Autos zusammenbaute und solche Sachen. Schließlich fuhr ich für ihn, und damit fing alles an "Er ließ mich in seiner Werkstatt ein Auto bauen mit dem kleinen Bobtail-Sportwagen als Basis. Ich baute einen 2-Liter-Bristol Motor ein und das wurde dann Coopers erster Formel-1-Wagen.Wir hatten ein paar Probleme damit in Aintree, und die Kupplung verabschiedete sich vor dem Ende des Renne s, aber dann nahm ich das Auto mit heim und gewann den australischen Grand Prix 1955."

Zwischen Cooper und Brabham entwickelte sich eine enge Bziehung: Die Underdogs gegen die Ferrari Macht aus Italien, die frech Vahnwall und BRM ausstachen und zu Großbritanniens wichtigstem Rennteam wurden. "Es dauerte nicht lang, bevor uns unser Potential klar wurde, aber selbst dann dachten wir nicht, daß wir die Weltrmeisterschaft so schnell gewinnen würden. Das Heckmotorauto war offensichtlich der richtige Weg, und zum Glück baute Coventry Climax einen 1,5-Liter Motor für uns womit wir im Rennen waren Wir holten Titel 1959 und '60, doch ohne diesen Motor hätten wir das nicht geschafft."

Mit der Einführung der 1,5-Liter-Formel 1961 war der Zauber vorbei. Nach einem erfolglosen letzten Jahr mit Cooper traf Jack die kühne Entscheidung, sein eigenes Auto zu bauen. Auch hier betrat er er einen neuen Boden: Es gab schon Fahrer, die ein eigenes Team hatten; aber keiner der Asse trat je als Konstrukteur auf. "Ich hatte mit Ron Tauranac einen Freund in Australien und bat ihn, nach England zu kommen. Wir gründeten eine eigene Firma 1962. Es war Risiko. aber ich hatte großes Vertrauen in Rons Fähigkeiten. Wir waren eine gute Kombination. Wir hatten allerdings zu wenig Geld, um ordentlich arbeiten zu können und wir brauchten ein paar Jahre, bis es richtig lief..."

Jack gewann in der 1,5-Liter-Ära nicht einen einzigen Gtand Prix, obwohl Teamkollege Dan Gurney dem Team erste Erfolge einbrachte. "Die neue Drei-Liter-Formel war eine gute Nachricht. Einen 1,5-Liter-Wagen konnte man doch nicht als Formel-1 bezeichnen." "Wir hatten jedoch keinen 3-Liter-Motor, den wir bauen konnten. Ich suchte daher überall nach eine passenden Block und wurde bei Oldsmobile fündig, Den brachte ich nach Australien und fragte bei Repco, ob sie einen Mator drumherum konstruieren könnten." Jack gewann 1966 vier Renn und wurde der erste und einzige Weltmeister in einem eigenen Auto. Im darauffolgenden Jahr holte Teamkollege Denis Hulme den Titel, doch schon 1968 wurde das Repco-Triebwerk vom DFV-Cosworth übertroffen. Jack und Stallgefährte Jochen Rindt machten eine schlechte Saison mit nur einem fünften Platz durch. Im nächsten Jahr schloss er sich der Cosworth-Leute an. Es reichte zwar zu keinem Sieg, aber zwei Pole-Positions bewiesen, daß er das Interesse nicht verloren hatte.

Zu der Zeit wuchs der Druck, nach Australien zurückzukehren, mehr Zeit mit seinen Söhnen Gary, Geoffrey und David zu verbringen. Er gab seinen Plan, Ende '69 zurückzutreten, auf, weil sich Rindt entschloß, auch 1970 bei Lotus zu bleiben, anstatt zu Brabham zurückzukehren. Jack fuhr also noch ein weiteres Jahr und erlebte beinahe einen bemerkenswerten Schwanengesang.

Er siegte in Kyalami, holte Pole-Position in Jarama und verlor das Rennen wegen eines Motorschadens. In Monaco führte er vor Rindt bis zu jenem berüchtigten Mißgeschick in der letzten Kurve, ä1s er sich in der Leitplanke wiederfand und der Österreicher vorbeiwischte, Auch im britischen Grand Prix lag er vor Rindt und verlor, weil ihm das Benzin ausgegangen war. Für den Rest der Saison konnte Brabham keinen WM-Punkt mehr erzielen. In seinem letzten Rennen in Mexiko qualifizierte er sich als Vierte doch ein Motorproblem zwang ihn zur Aufgabe.

War es schwer zu akzeptieren, dass alles vorbei ist, als er seine Sachen packte? "Ich hatte mich entschieden, ich konnte es nicht ändern. Es war ein schreckliches Gefühl, ich war sehr traurig und konnte nicht glauben, daß es zu Ende war Ich musste die Zähne zusammenbeißen und mir sagen: Das war's".

Immerhin wußte er, dass noch schnell war.

"Mir wäre es viel besser gegangen, wenn ich dabei geblieben wäre. Das war ein weiterer Fehler in meinem Leben, aber mitunter erlauben dir die Familienverhältnisse nicht, so zu entscheiden, wie du gerne möchtest." Sir Jack Brabham mag heute mit Bedauern zurückblicken, aber immerhin hat er den Sport überlebt.

 

Die Stoppuhr ins leere

Bei seinem Aufstieg hängte sich eine ganze Nation in seinen Windschatten. Bei seinem Tod stockte der Atem eines Landes. Österreich trauerte.

Der zweite Österreicher

Jochen Rindt war nicht der einzige Österreicher, dem Monza zum Verhängnis wurde. Schon 1954 war Rupert Hollaus - kaum Motorrad-Weltmeister in der Achtelliterklasse geworden - mit seiner Werks-NSU auf einer Ölspur in der Lesmo-Kurve tödlich verunglückt. Rindt starb I6 Jahre später, zwei Kilometer weiter, im Anbremsen der Parabolica-Kurve. Von einem normalen Unfall war nicht die Rede. In Wirklichkeit wurde er hingerichtet: Von der leichtfertigen Bruchrechnung der Konstrukteure.

Zwei waren dabei federführend, die inzwischen auch nicht mehr leben: Colin Chapman, der ein technisches Genie war, in zahlreichen Fällen seiner Zeit weit voraus, aber auch ein Grenzgänger. Er war Chef und Besitzer des Lotus-Rennstalls, und er diktierte seinem Designer Maurice Philippe das Konzept zu einem revolutionären Rennwagen aufs Reissbrett. Die Konstrukteure hasardierten bisweilen schlimmer als ihre Fahrer.

Jochens Auto wurde als Lotus 72 legendär: ein keilförmiges Ding, filigran wie aus einem papierenen Ausschneidebogen. Rindt verlor die Herrschaft über den Lotus-Keil, weil eine Bremswelle, die zum rechten Vorderrad führte, brach, ein lächerliches Blechröhrl: Worauf das bei 290 km/h abgebremste linke Vorderrad den Lotus nach links von der Strasse riß. Rindt, dem man eine beispiellose Fahrzeugbeherrschung nachsagte, war chancenlos. Denny Hulme, der unmittelbar hinter ihm trainiert hatte, kehrte noch schweigsamer als sonst zurück. Er wußte, dass es nicht gut aussah.Das Papierauto fuhr mit seiner ganzen Keilform unter den. Leitschienen durch. Rindt hatte keine Chance.

Kottingbrunn bis Monza

In Kottingbrunn klemmte er sich in einen 100 PS starken Formel-Junior-Rennwagen der Marke Cooper, dessen liegende Sitzposition ihm überhaupt nicht taugte, denn er war bis dato in einem Alfa-Tourenwagen Rennen gefahren. Im ersten Fonnel-Junior-Rennen seines Lebens, in Vallelunga, war er Trainingsschnellster. Das nächste Rennen in Cesenatico konnte er bereits gewinnen, als er nach einem Unfall elegant den auf der Strecke herumeiernden Rettungswagen ausbremste.

In Monaco war er in einem Vorlauf Vierter, in jeder Kurve stand er quer, von der Hafenschikane zog er sich Holzsplitter in die Felgen ein, und die Zuschauer fragten sich: Ist dieser Rindt lebensmüde? Er lachte, als er das hörte. Im Finale blieb das Gaspedal auf Vollgas hängen, er korrigierte mit dem Zündungsschalter. Respekt hatte er vor niemandem. Was seinen Wagen an Motorleistung fehlte, holte er sich «auf der Bremse», wie er offenbarte.

Der geborene Rennfahrer

In Wirklichkeit war er der geborene Rennfahrer, das Naturtalent schlechthin. Seine Reflexe waren ein Weltwunder. Er unterdrückte die Angst, und sein Mut zum Risiko schien grenzenlos. Seine zur Schau getragene Coolness war bloß eine dünne Haut. Im Jahre 1970, als er auf den WM-Titel hinsteuerte, war er ein gehetzter Mensch, gejagt von den Medien, die in Österreich eine Rindt-Mania entfachten. Und er war ziemlich verunsichert. Denn er wußte: In seinem Lotus 72 steckten etliche Sargnägel. Dass er sich 1969 mit Lotus eingelassen hatte, war geradezu ein Pakt mit dem Teufel, denn laut Statistik brachen mehr Räder, Aufhängungen und Heckflügel in Chapmans Rennstall als in jedem anderen Team.

Wie sehr die Statistik stimmte, hatte Jochen bereits am eigenen Leib erlebt: Als an den Lotus-Rennern von Graham Hill und Rindt beim Montjuich-GP in Barcelona die Hochflügel knickten wie Salzstangen. Die abtriebslosen Geschosse schlugen in die Leitschienen ein.

Never-Comeback-Air

Wer mit Lotus flog, flog mit einer Never-Comeback-Airline. Rindt wußte das, hielt aber mit dem Satz dagegen: «Bei Lotus kann ich Weltmeister werden. Oder sterben. Dieses Risiko gehe ich ein.» Daß ihm beides widerfahren ist, macht ihn zur unsterblichen Sagenfigur: Er starb und wurde der einzige posthume Formel-1-Weltmeister.

Hätte Rindt bereits ein Kohlefaser-Chassis gehabt, wäre ihm vermutlich kein Haar gekrümmt worden. Viele Unfälle von heute sind erheblich brutaler, gehen aber glimpflich aus. Vielleicht wäre er an die Box gelaufen und hätte das getan, was er Chapman und Konsorten bereits anlässlich einer gebrochenen Lenkung angedroht hatte: «Wenn das noch einmal passiert, und ich leb' noch, dann bring ich euch alle um! » Kurze Zeit später waren diese Worte wieder vergessen, wenn er sich einen von fünf Lorbeerkränzen umhängen lassen konnte. Rindt siegte in Monte Carlo (nach einem Herzschlagfinale gegen Jack Brabham, dem unter dem Druck Jochens in der letzten Runde ein Fahrfehler unterlief), in Zandvoort, in Frankreich, in Silverstone (erneut vor Brabham), auf dem Hockenheimring.

Aber anno 1970 hatten die Formel-I-Autos kein Kohlefaser-Monocoque, sondern sie waren Blechkästen, die man mit einem Fußtritt schwer beschädigen konnte. Die Autos brannten obendrein bei der geringsten Beschädigung sofort. «Ich hab' das schnellste Auto», vertraute Rindt seinem Freund und Gegner Jackie Stewart in seiner letzten Rennsaison an. «Ich brauche gar nicht über meine Verhältnisse zu fahren, doch nachdenken darf ich dabei nicht, falls diese Kraxn einmal bricht. » Der. Lotus-Keil fuhr in Monza unter der zu hoch angebrachten Leitschiene durch und traf einen Eisenpfahl.

Es war der Tod am Nachmittag: Rindt starb um 15.25 Uhr in der Sanitätsbaracke von Monza, wo üblicherweise Bagatellen wie Schnittverletzungen und Insektenstiche behandelt wurden.

Eine Sagenfigur

Jackie Stewart hatte die Nachricht von Jochens Crash an Nina Rindt überbracht, auf deren Stoppuhr die Zeiger ins Leere liefen, denn er war nicht mehr vorbeigekommen. Der heutige Formel-I-Chef Bemie Ecclestone trug völlig konsterniert Jochens Helm davon. Noch heute nennt der kleine Engländer Rindt in einem Atemzug mit dem Größten, den er gekannt hat: Ayrton Senna.

Beim nächsten Rennen waren die hohlen Bremswellen der Lotus 72 keine Röhrln mehr, sondern aus vollem Material gearbeitet. Zu spät für Jochen Rindt, der innerhalb der letzten 30 Jahre in Österreich zu einer Sagenfigur geworden ist, wie sie heute - in einer Ära, in der die Grand-Prix-Rennfahrer wie Austem gezüchtet werden - nicht mehr entstehen kann.

 

 

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